Jürgen Kisters

DIE FARBEN DES IRGENDWIE ODER:
WAS IST ÜBERHAUPT POP-MALEREI?
(Anmerkungen zur Malerei Volker Laues)

Ist Volker Laues Malerei Pop-Kunst? Und was ist überhaupt Pop-Kunst?
Kaum jemand kann noch sagen, was er unter Pop versteht, nachdem poppige Erscheinungen zum selbstverständlichen Ausdrucksrepertoir unserer modernen Konsum-kultur geworden sind. „Irgendwie“ hat es mit kräftigen, auffälligen Farben und populären Motiven zu tun, die ähnlich prägnant und pfiffig wie eine Werbung mit einem Blick alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Bunt und belebend leuchtet die Pop-Kunst in den grauen Alltag hinein, um von ihm selber zu erzählen.

Mit Bildern, die wir alle kennen, aus Zeitschriften, Comicheften und aus dem Fernsehen, inszeniert als Reklame oder als Nachricht. Einmal auflockernd-witzig, dann wieder kritisch-provokativ ist die Pop-Kunst von einer bildlichen Vertrautheit, in der sich die gewöhnliche Ästhetik unserer Konsumkultur unmerklich mit einem grundsätzlichen Verlangen nach einfachen Bildern verknüpft.
„Irgendwie“ wird Pop-Kunst von fast jedem verstanden, eingängig wie der Refrain eines Hitparaden-Songs oder das Foto auf dem Titelblatt einer Tageszeitung. Schnell, treffend und unterhalb des Nachdenkens erfasst das Auge die „Botschaft“, ohne langes Suchen und ohne den Ballast komplizierter Theorien. Und wahrscheinlich ist es vor allem diese Direktheit, die Volker Laue auf die Spur einer malerisch-poppigen Kritik an der Gesellschaft geführt hat.

Gerade in Zeiten, in denen die Grenze zwischen Kunst und Alltagsdekoration mehr und mehr verschwimmt, hält er ein verwirrend-buntes Plädoyer für die Kraft der Pop-Kunst, die sich stärker als jede andere künstlerische Spielart in die Ästhetik der ganz gewöhnlichen Alltagskultur hineinschleicht. Indem er sich stilistisch zwanglos bei Warhol, Johns oder Rauschenberg und den Ornamenten einer Jahrtausende alten Kunstgeschichte bedient, will er mit seiner Malerei jedoch alles andere als die zeitgemässen Wahrnehmungsmuster ansprechen.
Mit Doppelungen, Überblendungen und Verzerrungen ist der Künstler vielmehr der Doppelbödigkeit von „einfachen“ Bildern auf der Spur. Zwischen das kühle Lächeln einer Autowerbung und die routinierte Gleichförmigkeit der Nachrichten-Bilder schiebt er die Fratze des Er-Staunens. Und mit akribisch ausgetüftelter malerischer Strenge nimmt er Bezug auf die modernen Medien und die standardisierten Formen ihrer Nachrichtenübermittlung, die alltäglichen Bilderfluten des Fernsehens, die Schlagzeilen der Boulevardblätter und die Homepages des digitalen Netzes. Um ihnen die Einseitigkeit, Schablonenhaftigkeit und Unsensibilität vorzuhalten, die das krasse Gegenteil von Kunst sind.

Nimm die all-täglichen Motive, tauch sie in alarmierend grelle Farben und zeig sie im Fadenkreuz verschachtelt-zugespitzter Strukturen. Was gibt es noch zu erklären, wenn ein nach einem Unfall zerborstenes Auto im ornamentalen Aufbau eines Kirchenfensters erscheint, umrahmt von vier Feuerrädern und als Mittelpunkt eines aus Kreuzen zusammengesetzten Kreuzes?
Braucht es wirklich noch einen Kommentar für den üppig bewaldeten Berg, in dessen Mitte ein Eisenbahnzug brennt?

Was müsste noch gesagt werden zu einer Komposition, die auf dem Logo einer Zigarettenfirma zwei schwarze Lungenflügel im Stile einer Röntgenaufnahme zeigt, mit zwei weissen Kreisen dort, wo der Arzt bei Tumorverdacht die Stelle markiert? Und sind das Gestell eines Regenschirms über dem Pappausriss der Landkarte Afrikas und die Luxuslimousine neben der schriftlichen Aufforderung „Esst die Reichen“ nicht eine unumstössliche Stellungnahme zur skandalösen sozialen Ungerechtigkeit in der Welt? So farbenprächtig und formstimmig Volker Laues Bilder die Augen streifen, so unmissverständlich setzen sie eine Welt in Szene, in der ganz und gar nichts stimmig ist.

Jede Komposition demonstriert mit einfachen Bildelementen Laues Unverständnis darüber, dass die moderne Welt so ist wie sie ist: ein Ort der Gewalt und Zerstörung, voller Scheinheiligkeit und Widersprüche, wo die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer und der Respekt vor der Natur mit Tourismus und Hollywoodromantik verwechselt werden. Die plakative Direktheit seiner malerischen Methode entspricht nur der plakativen Schonungslosigkeit, mit der die herrschende Weltanschauung der kapitalistischen Konsumkultur seine Auffassung von modernem Leben propagiert. Wie sonst sollte man ein für alle verständliches (künstlerisches) Gegenbild zur bestehenden Besinnungslosigkeit schaffen, wenn nicht mit den Mitteln einer populären Ästhetik?
Fast zwangsläufig greift Laue in diesem Anliegen auf Elemente der Pop-Kunst zurück, gleichgültig ob ihr experimentell-rebellisches Potential kunsthistorisch überholt ist, und ebenso ungeachtet aller aktuellen modischen Reinszenierungen einer visuellen poppigen Spassigkeit.

Laues Pop-Malerei ist von ganz eigener, unspektakulärer Art. Wie die Menschen in früheren Zeiten wussten, wie sie die Symbole auf den Bildern der Kunst zu verstehen hatten, ist seine Malerei ein Plädoyer für eine Kunst aus dem Geist der Symbole. Die gewöhnlich schnell rasenden Bilder aus dem Medien- und Warentaumel der lärmenden Konsumkultur sollen ihrer Beliebigkeit entzogen und in den Stand des Symbolischen gehoben werden. Als Symbole einer Kultur, in der vieles drunter und drüber geht. Ein Autoreifen ist nicht einfach ein Autoreifen, sondern ein Symbol für eine Menschheit, die an ihrer eigenen Geschwindigkeit zugrunde geht. Ein Priester ist nicht nur ein Priester, sondern das Symbol für eine (Geistes-)Haltung, die zu unbeweglich ist, um in der turbulenten Dramatik des modernen Lebens ein Halt sein zu können. Und ein nackter Frauenkörper ist nicht bloss ein Moment der Schönheit, sondern eine Zielscheibe auf dem Schlachtfeld der Geschlechter. Jedes Bild, das im Alltag der modernen Medienkultur produziert wird, ist zugleich das Symbol für die Weltanschauung, die untrennbar mit diesem Alltag verbunden ist.

Die grundsätzliche Parodoxie der Pop-Kunst besteht darin, den Alltag der modernen Konsumkultur mit ihren eigenen Mitteln zu reflektieren. Das ist ebenso konsequent wie zynisch, ebenso aufrichtig wie naiv, ebenso gewitzt wie tückisch und vielleicht all das zugleich. In jedem Fall ist es ein Kunststück voller Möglichkeiten und Widersprüche. Einen „Kreuzzug“ nennt Volker Laue sein eigenes malerisches Unternehmen, das vom Glauben mindestens so sehr getragen wird wie von der nüchternen Reflexion. „Der Planet ist erledigt“ schrieb der Dichter Allen Ginsberg bereits in den Sechziger Jahren, „Städte der Erde vergiftet im Krieg, meine Kunst aussichtslos, Denken zerfahren –und immer noch abstrakt- in meiner schmerzenden linken Schläfe lebt der Tod.“ Trotz dieser resignativen Sicht schrieb Ginsberg weiter Gedichte, und auch Volker Laue hört nicht auf mit seiner Malerei.
Und so könnte man fast vermuten, dass es bereits eine Ermutigung ist, den Schrecken auf die Leinwand zu malen. Möglicherweise, oder aber es ist genau das Gegenteil.

Köln,
im Januar 2002